Es werden weitere Bombenangriffe auf Phnom Penh durch die Amerikaner erwartet. Bombenangriffe, weil sich Kambodscha im Vietnamkrieg neutral halten wollte, die Vietnamesen jedoch dennoch auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad auch durch den Osten Kambodschas unter deren Billigung ihre Versorgungswege und -tunnel bauten. Die Stationierung amerikanischer Truppen auf kambodschanischem Boden ließ König Sihanouk nicht zu. Das kostete Kambodscha die US-Bombardierung aus der Luft mit fast 3 Millionen Tonnen amerikanischer Bomben.
Anfangs fliehen die Bewohner aus Angst freiwillig aus ihren Häusern in der Stadt auf das sicherere Land, später werden sie von einer aufkommenden neuen Macht aus der Stadt vertrieben. Wer sich weigerte, wurde getötet. Phnom Penh zählt zu diesem Zeitpunkt etwa drei Millionen Einwohner – nach den Vertreibungen gleicht sie einer Geisterstadt.
Später dazu mehr. Zunächst geht es heute weiter zu unserer letzten Station dieser Reise, in die Hauptstadt Kambodschas.
Phnom Penh
Direkt nach dem Frühstück um 9:30 Uhr checken wir aus unserem schönen Resort aus und besteigen die Speedferry zurück ans Festland, nach Sihanoukville.
Nicht auf unserem Reiseplan steht ein Stopp in der nahe gelegenen Provinz Kampot. Da wir in unserem Zeitplan leider auch keinen Platz mehr dafür finden, lassen wir das trotz der neuen Erkenntnisse, die wir gewonnen haben und der Empfehlungen der Einheimischen aus.
Kampot ist quasi zu einem Synonym für Pfeffer aller höchster Qualität geworden. „Kampot-Pfeffer“ ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung, wobei der Anbau nach einem genau definierten Pflichtenheft erfolgen muss, um das Produkt so nennen zu dürfen. Wir haben ihn in den letzten Tagen in exquisiten kambodschanischen Spezialitäten, wie beispielsweise Fried Squids with Kampot-Pepper, kennen lernen dürfen.
Dieser Pfeffer hat ebenso wie Cambodia selbst eine bewegte Vergangenheit. Der Anbau lässt sich bis in das 13. Jahrhundert nachverfolgen. Der Sultan von Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra hat den Anbau des Pfeffers im späten 18. Jahrhundert in andere Gebiete Südostasiens verlegt, so auch das Gebiet im heutigen Kampot. Die Pfeffer-Plantagen in Indonesien hat er verbrannt, um sie nicht den niederländischen Eindringlingen zu überlassen. Wie das Schicksal so will, wurde Indochina später zum Kolonialgebiet der Franzosen. Etwa die Hälfte der 8.000 t Gesamternte gingen Ende des 20. Jahrhundert nach Frankreich.
Mit dem Taxi lassen wir uns zum Busbahnhof bringen, stellen unser Gepäck bei der Reiseagentur Giant Ibis ab. Hier haben wir tagszuvor abermals über 12go.asia einen geräumigen Reisebus gechartert. Zu Fuß gehen wir durch das Stadtzentrum, da wir noch etwas Zeit bis zur Weiterfahrt nach Phnom Penh haben. Zufällig entdecken wir unterwegs einen überdachten Markt, der zum Glück fast nur von Einheimischen frequentiert wird. Wir können uns ungestört umsehen ohne ständig in asiatischem Englisch angesprochen zu werden „what yu want?“, „yu want something?“, „yu sei I heb“ (Übersetzung: „Ich habe auch Ihre Konfektionsgröße“).

Hier ist wirklich alles zu finden vom Goldschmuck über kitschige Haarspangen und Kleidung bis hin zu Lebensmitteln, Obst, Gemüse aber auch Fische, Krebse, ganze Hühner und Schweineköpfe. Zum Glück haben wir noch genug Zeit, um uns das bunte Treiben ausführlich ansehen zu können. Der Bus ist nicht ausgebucht, so dass für alle ausreichend Platz ist. Die Fahrt geht bis auf einen kurzen Pausenstopp zügig voran. Allerdings der Stadtverkehr in Phnom Penh bewegt sich quälend und zäh fließend bis zum Ziel. Dieses liegt mitten im Stadtzentrum, nicht weit weg von einem der Wahrzeichen der Stadt, dem Wat Phnom. Auf ins TukTuk und ab in die Villa Grange, zentrumsnah von wo aus die wesentlichen Sehenswürdigkeiten gut zu erreichen sind.
Das Zimmer lässt uns uns allmählich wieder an westliche Standards in Bezug auf Ausstattung, Funktion und Hygiene gewöhnen. Es ist schon relativ spät, ein kleiner Rundgang in der näheren Umgebung muss dennoch sein. Schon auf der Fahrt zum Hotel fällt es mir ein paar Meter vorher wie Schuppen von den Augen. Sollte es wirklich wahr sein? Mit großen Lettern strahlt es mir entgegen: CRAFTBEER. Sollte es hier tatsächlich einen Laden mit richtigem Bier geben, nachdem wir wochenlangen das allerorts unvermeidliche „Near-Water-Beer“ von Angkor, Cambodia, Singha und wie sie alle heißen, vorfanden? Wir gehen also die paar Schritte zum „The Box Office“ und treffen auf einen gestrandeten Engländer, der hier die, wie sich später noch herausstellt, doch sehr präsente Craftbierszene bereichert. Die Biere sind nicht importiert, sondern von einem lokalen Brauer. Zum Abendessen suchen wir eine andere Lokalität und stoßen auf die „Hops Brewery“, eine Brauerei mit im Innenhof geschmackvoll eingerichteten, lauschigen Biergarten. Braumeister und Manager sind Deutsche.

Die Küche Kambodschas ist die etwas langweiligere und vor allem fade Version thailändischer Gerichte. Jedoch die kambodschanischen Spezialitäten „Lok Lak“, eine Art Rindergulasch mit ausgelassenen Zwiebeln und Pfefferjuis, einem Spiegelei und Reis sowie das Amok, ein Curry mit Meeresfrüchten sind hier sehr empfehlenswert. Auf dem Rückweg zum Hotel kennt man uns bereits in „The Box Office“, bedienen noch einmal die nach richtigem Bier ausgehungerte Seele und lassen dann noch die Füße ein wenig im Hotelpool baumeln.

Wir beginnen den nächsten Tag bei einem kleinen Frühstück in der Lokalität neben dem Hotel „The Vine“ mit Kaffee und Omelett, um dann frisch gestärkt zu Fuß zum Königspalast und weiter zu Wat Phnom zu gehen. Es handelt sich dabei um eines der Wahrzeichen der Stadt. Auf einem 27m hohen Hügel der parkähnlich angelegt ist, befindet sich ein Tempel. Auch wenn es relativ wenig Geld ist, werden hier Ausländer mit 1 USD zur Kasse gebeten, was auf mich am frühen Morgen erst einmal abstoßend wirkt und mir die Lust raubt, die Anlage im Inneren zu besichtigen.
Markttreiben
Wir gehen weiter zum Central-Markt, einem schier nicht enden wollenden Labyrinth aus kleinen Ständen mit allen möglichen Artikeln und Lebensmitteln. Im Inneren unter einer großen Kuppel befinden sich unzählige Stände mit Schmuckgegenständen aus Gold, Silber, Jade – oder was es angeblich sein soll. Die nächste Station ist einem kleinen, aber besonderen Teil der Geschichte Kambodschas gewidmet, zu der wir uns ein TukTuk gönnen.
Genozid
Das Tuol Sleng Genozid Museum, dieser auch als „Sicherheitsgefängnis S-21“ bekannte Folter- und Tötungskomplex wurde von einem ehemaligen Insassen erschaffen. Der Aufpreis für den Audio-Guide ist auf jeden Fall sein Geld wert.
Die Amerikaner beendeten Ihren Angriffskrieg auf Kambodscha im April 1975. In der Umbruchzeit konnten die Roten Khmer den König Sihanouk stürzen und die Macht im Land ergreifen. Ihr Ziel war es, einen kommunistischen Bauernstaat einzurichten. Alles bürgerliche sollte – Ihren Worten nach – zerschmettert werden. Und so richteten sie Ihr Terrorregime ein und jagten alle Menschen aus den Städten raus auf das Land um sie dort zu landwirtschaftlicher Arbeit zu zwingen. Produktionspläne wurden ohne realistische Bewertung der Anbaubedingungen erstellt. Der Anbau sollte auch absolut puristisch erfolgen, jegliche Hilfsmittel und landwirtschaftliche Maschinen galten als Produkte der Bourgeoisie und deren Verwendung wurde daher verboten. Wurden die Pläne nicht erfüllt, verurteilte man die Menschen als Saboteure.
Alles intellektuelle sollte ausgelöscht werden, es reichte dabei schon, eine Brille zu tragen um in den Verdacht zu geraten zur Bourgeoisie zu gehören. Dazu haben die Roten Khmer mit ihrer vorwiegend aus Kindersoldaten rekrutierten Armee eigens Konzentrationsgefängnisse errichtet. In den Gebäuden einer ehemaligen Hochschule ist dieses S-21 mitten in der menschenleeren Stadt eingerichtet worden. Hier wurden in der fast vierjährigen Terrorzeit der Roten Khmer schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen unter grausamsten Bedingungen gefoltert und getötet. Es sind heute 12 ehemalige Insassen bekannt, die das Massaker dieser entmenschlichten Mörder überlebt haben.
Das Museum zeigt heute im teilweise originalen Zustand verschiedene Gebäudeteile und in eine Dauerausstellung die bis heute identifizierten Opfer, was sich als extrem schwierige Aufgabe zeigt, da die Täter nach Aufnahme der Daten der Opfer alles unternahm, diese jeder menschlichen Individualität zu berauben. Im Innenhof des Komplexes sind 14 weiße Grabsteine angeordnet, die an die 14 nicht identifizierten Toten erinnern, die nach Befreiung der Anlage vorgefunden wurden. Ein Künstler zeigt seine persönlichen Erlebnisse in diesem Gefängnis heute durch seine Gemälde. Er konnte den Terror überleben, weil seine Kunstfertigkeit als noch nützlich angesehen wurde.
“Um das Unkraut dauerhaft aus dem Garten zu verbannen, muss man es an der Wurzel packen”
Nach den durch Folter erzwungenen „Geständnissen“ wurden die Verurteilten dann zu den ca. 15 km ausserhalb der Stadt befindlichen „Killing Fields“ nach Choeung Ek gebracht, am Rand von Massengräbern mit einer Axt oder ähnlichem durch einen Schlag auf den Hinterkopf getötet und in das Grab geworfen. Unten wurde ihnen noch zusätzlich die Kehle durchgeschnitten – in der Regel mit einem scharfen Palmenblatt. Die Gräueltaten nahmen auch vor Neugeborene keinen Halt. Das vorstehende „Sprichwort“ wurde zu einer Maxime der Roten Khmer Diktatur und führte sogar dazu, dass der Nachwuchs der angeblichen Delinquenten an den Füßen gepackt und mit dem Kopf solange an den sogenannten Killing Tree geschmettert wurde bis er tot war.
Nach der Befreiung von den Roten Khmer durch vietnamesische Truppen unter Legitimation der Kampuchea United Front for National Salvation sowie der Entdeckung des weitgehend im verborgenen betriebenen Genozids an der eigenen Bevölkerung wurde an diesem Baum noch Gehirnmasse vorgefunden.
Die Roten Khmer ermordeten in ihrer drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage dauernden Terrorherrschaft ca. 1,7 Millionen Menschen und fügten dem Land einen bis heute wirkenden und nachwirkenden Schaden zu. Es wurden bis heute etwa 200 derartige Einrichtungen und Massengräber gefunden. Man geht davon aus, dass es noch weitere unentdeckte gibt.
Auch der oben genannte Kampot-Pfeffer war Opfer des Wahnwitzes der Rotem Khmer. Die Pfeffer-Plantagen mussten nämlich, um die Bevölkerung ernähren zu können zu Reis- und Gemüsefelder umgebaut werden – und damit ging eine Jahrhunderte alte Tradition fast verloren. Erst in den 1990er Jahren wurde mit dem Wiederaufbau der Peffer-Plantagen und der weltweiten Vermarktung begonnen.
Nach diesem eindrücklichen Erlebnis brauchen wir erst einmal eine kurze Erfrischungspause. Weiter gehen wir zum „Russenmarkt“ – ein weiterer Markt, der sich kaum von den anderen unterscheidet. Außerdem geht in Phnom Penh niemand zu Fuß. Alles wird mit dem Motorroller erreicht, sogar auf den Märkten wird direkt an die Stände gefahren. Eine nicht besonders zum Bummeln und Verweilen einladende Szenerie. Ohnehin ist es schwierig durch die Stadt zu Fuß zu gelangen. Meist muss man auf vielbefahrenen Straßen gehen. Gehwege – wenn es denn überhaupt welche gibt – sind mit Autos oder Rollern voll gestellt bzw. werden mit Tischen der Streetfood Restaurants belegt. Wir streifen diesen nicht unbedingt sehenswürdigen Markt und finden in der Nähe ein thailändisches Restaurant zum Abendessen.
Auf dem Weg zum Hotel und dem abendlichen Füße im Pool baumeln lassen, kehren wir abermals im „The Box Office“ ein. Wir sind schon Stammgäste und werden in Gespräche mit den Stammtischtreff, bestehend aus Australier, Ire, Engländer integriert.
Silvester
Wir machen zunächst einen ruhigen Tag mit etwas Stadtbummel, ein sich spontan entwickelnden gemütlichem Brunch im „Big Easy“, einem Besuch auf dem anlaufenden Nachtmarkt und einer gemütlichen Sunset-Flussfahrt über den Tonle Sap River und den Mekong. Bei Einbruch der Dämmerung füllen sich die Straßen. Roller an Roller, Auto an Auto, TukTuk an TukTuk. Minütlich wird es immer voller. Vorteil ist, dass man zu Fuß in dem jetzt fast schon stehenden Verkehr sicherer über die Straße kommt.
Zum Jahreswechsel trifft man sich hier an der Uferpromenade und vor dem Königspalast – überall Menschen dicht an dicht. Es liegen viele Decken auf dem Boden, die Leute sitzen darauf und essen. Wir sind ziemlich geschlaucht und beschließen dieses Jahr Silvester ruhig am Hotelpool zu verbringen. Ein wenig Feuerwerk in der Ferne – Gutes Neue Jahr 2023 für alle.
Neujahr
Wir können einen Late-Checkout machen und verbringen den Tag noch am Hotelpool, ein kleines Mittagessen und später ein letztes Mal mit dem TukTuk zum Flughafen.
Bye Bye wunderschönes Indochina.
Und dieses Mal war ich schneller: Das nächste Mal geht’s nach Vietnam!
